Die Otto Group passt ihre Strategie im Onlinehandel an, um die Herausforderungen im eigenen Geschäft zu meistern. Angetrieben von Boris Ewenstein, der seit Mai das Marktplatzgeschäft von Otto leitet, setzt das Unternehmen auf eine Neuausrichtung, die sowohl Händler als auch das Produktsortiment betrifft.
In den letzten Jahren hatte Otto stark auf den Ausbau seines Online-Marktplatzes gesetzt, doch nun zieht das Unternehmen die Reißleine. Eine große Anzahl von Partnern und Produkten, die nicht mehr zum Konzept von Otto passen, wurde aussortiert. Laut einem Bericht des Handelsblatt hat Otto in diesem Jahr mehr als 1.000 Drittanbieter von der Plattform entfernt. Während einige Händler von Otto gekündigt wurden, verließen andere die Plattform aufgrund erhöhter Provisionen eigenständig. Gleichzeitig sucht Otto gezielt nach neuen Partnern, jedoch weitaus selektiver als zuvor.
Strengere Anforderungen an Händler
Ewenstein, der zuvor bei Zalando tätig war, erklärte im Gespräch mit dem Handelsblatt, dass Otto nun höhere Anforderungen an seine Partner stellt, als es bei anderen Plattformen der Fall ist. Er räumte zudem ein, dass es in der Vergangenheit möglicherweise Fehler bei der Auswahl der Händler gab. Nun sei es seine Aufgabe, die nötige Ordnung herzustellen, um das Geschäft effizienter zu gestalten.
Die Probleme des Unternehmens traten deutlich zutage, als der eigene Umsatz von Otto im letzten Geschäftsjahr um acht Prozent auf 4,2 Milliarden Euro sank, obwohl der Umsatz der Dritthändler auf der Plattform stark gestiegen war. Otto hatte durch das Wachstum seines Marktplatzes sein eigenes Geschäft geschwächt, denn die Einnahmen aus den Provisionen der Dritthändler reichten nicht aus, um die Verluste im Eigenhandel zu kompensieren.
Beliebte Marken bevorzugt
Um das Kerngeschäft zu schützen, hat Otto ein neues Modell für besonders nachgefragte Marken wie Adidas, Puma, Boss, Levi’s und Lego eingeführt. Das sogenannte „Nachrückermodell“ sieht vor, dass die Produkte von Dritthändlern bei diesen Marken nur dann auf der Plattform angezeigt werden, wenn Otto selbst ausverkauft ist. Dies schränkt die Wettbewerbsfähigkeit der Dritthändler deutlich ein.
Zudem wurden die Provisionsgebühren in vielen Kategorien angehoben, und die monatliche Grundgebühr stieg von 39,90 auf 99,90 Euro. Diese Maßnahmen machten die Plattform für kleinere Händler weniger attraktiv. „Für einige kleinere Partner mag die Erhöhung der Grundgebühr eine Herausforderung darstellen“, räumte Ewenstein im Gespräch mit dem Handelsblatt ein. Allerdings betonte er, dass die meisten Händler auf Otto einen Umsatz von mehreren Hunderttausend Euro generierten, womit die Erhöhung verkraftbar sei.
Gezielte Neuausrichtung
Otto verfolgt nun eine klarere Strategie: Neue Partner werden sorgfältig ausgewählt, um das Sortiment von Otto zu ergänzen, statt in Konkurrenz zu den eigenen Produkten zu treten. Die Umstellungen zeigen bereits erste Erfolge. Trotz der Kündigungen hat Otto inzwischen 180 neue Händler gewonnen. „Die Händler, die heute bei uns sind, sind im Schnitt produktiver“, so Ewenstein. In Zukunft sollen zudem mehr internationale Partner eingebunden werden.
Auch das Marktplatzgeschäft entwickelt sich erfreulich. Im laufenden Geschäftsjahr verzeichnet Otto ein Wachstum von mehr als 20 Prozent im Marktplatzbereich. Im Vergleich dazu war das Gross Merchandise Volume (GMV), der gesamte auf der Plattform abgewickelte Umsatz, im Vorjahr nur um zwei Prozent gestiegen.
Konkurrenzdruck durch Temu und Shein
Die Anpassungen auf dem Otto-Marktplatz sind nicht nur eine Reaktion auf interne Herausforderungen, sondern auch auf die wachsende Konkurrenz durch Billiganbieter wie Temu und Shein. Diese Plattformen gewinnen in Deutschland zunehmend an Beliebtheit, obwohl ihre Produkte oft wegen mangelnder Qualität in der Kritik stehen. „Wir wollen uns durch die Qualität unserer Produkte von den Wettbewerbern abheben“, sagte Ewenstein dem Handelsblatt. Der Druck von asiatischen Wettbewerbern sei spürbar, da diese mit unschlagbar niedrigen Preisen locken, was die Marktplatzlandschaft stark verändere.
Qualitätsfokus auf dem Marktplatz
Otto will nicht nur neue Partner strenger auswählen, sondern auch die Leistung der bestehenden Händler stärker überwachen. Kriterien wie Stornoraten, Einhaltung der Lieferzeiten und der Umgang mit Retouren spielen dabei eine wichtige Rolle. „Wer diese Standards nicht erfüllt, von dem müssen wir uns im Zweifel trennen“, kündigte Ewenstein an. Gleichzeitig soll das Otto-Sortiment gestrafft werden, indem weniger relevante Produkte von der Plattform genommen werden.
Für einige Händler hat die neue Strategie bereits unerfreuliche Folgen. Ein Drittanbieter, der erhebliche Investitionen in das Onboarding bei Otto und die Entwicklung eines Produktsortiments getätigt hatte, erhielt im April überraschend die Kündigung. Er sitzt nun auf einem vollen Warenlager und wartet immer noch auf eine Erklärung, warum er nicht mehr auf Otto.de verkaufen darf.